Bei vielen in Vergessenheit geraten ist das Jahreszeugnis unseres Lehrherrn.
Nach einem harten und arbeitsreichen Lehrjahr wurde einem, quasi als Abschiedsgeschenk in den wohlverdienten Jahresurlaub, nochmals ein(Leistungs)spiegel vor die erschöpften Augen gehalten. „Die schärfste Waffe des Arbeitgebers.“
Hatte man die gestrengen Eltern bei den wöchentlichen Benotungen noch mit „Ausreiser“ oder „Falsches gelernt“ besänftigen können, so musste man spätestens jetzt die Hosen runter lassen, was aber meistens nichts mehr geholfen hat. Diese Zeugnis hatte so etwas „Endgültiges oder Erhabenes“ es gab es ja nur einmal im Jahr.
So Mancher kam bei den Punkten „Versäumnisse und Verspätungen“ deswegen in Erklärungsnotstand, hatten sich doch nicht wenige Heimbewohner ohne Wissen der Eltern vom Hausarzt ab und zu wegen „Schwindelgefühlen“ oder „Übelkeit“ einige Tage krank schreiben lassen. Diese „Krankheiten“ wurden nach Vorlage des Zeugnisses beim Erziehungsberechtigten, meistens ohne ärztliche Hilfe, sofort und endgültig kuriert.

Eine überaus lästige Pflicht war das Erstellen eines wöchentlichen Berichtes, so manches Wochenende wurde einem mit dem Wochenbericht vermiest. Da Excel & Co noch nicht erfunden war, musste alles von Hand in mühevoller, filigraner, stundenlanger Arbeit erstellt werden.
Unsere „Hardware“ waren Zeichenbrett und Tuschestift, der „Zeichensatz“ bestand aus verschiedenen Schrift- und Zeichenschablonen und die „Software“ war unsere Phantasie, auch damals waren schon regelmäßige „Updates“ derselben gefragt. „Kopieren“ und „Einfügen“ gab’s nicht, bei Fehlern oder Tuscheklecksen wäre ein „Löschen- oder Rückgängig “ oft sehr hilfreich gewesen. stattdessen wurde mit Rasierklinge und Radiergummi versucht den Fehler zu beheben. Eine 100%ige Korrektur war meist nicht möglich da man die Oberfläche des Papiers beschädigte und die Tusche sich hinterhältig in dem aufgerauten Papier verlief. Je nach verfügbarem Zeitfenster und Geduld wurde entweder ein neuer Wochenbericht begonnen oder man nahm durch die Korrektur/en eine schlechtere Note in Heftführung in Kauf, was der „Zielerreichung“ abträglich war.
Eine positive Seite hatte das manuelle Erstellen allerdings auch: Bei einem „Hardwareabsturz“ wurde höchstens der Bodenbelag beschädigt oder geschwärzt. Weitere Probleme wie etwa der Verlust des Dokumentes entstanden nicht. Nebenbei bemerkt brauchten wir auch keinen Drucker, der waren wir selbst. Den damals auch schon erforderlichen „Druckertreiber“ übernahmen die Eltern. (Heute unvorstellbar).

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