Berichtsheft
Allgemein
Eine lästige Pflicht für (fast) alle Lehrlinge war das Führen eines Berichtsheft.
Da bis Ende der 50er noch Samstags gearbeitet wurde, fiel so mancher Sonntagnachmittag dem Erstellen der Zeichnungen zum Opfer (teilweise waren im 3.Lj Schaltpläne über 3 DIN A4-Seiten zu zeichnen) .
Penibel genau musste die Tätigkeit, die Arbeits- und Schulstunden und später auch die versäumten Stunden eingetragen werden. Ein Fehler wurde gnadenlos vom Meister gut sichtbar mit Rotstift markiert.
Die wöchentliche Beurteilung war für den Flehrl eine Überprüfung der Wochenleistung und eine Info für Lehrherrn und Erziehungsberechtigten. Manchmal auch Ärgernis. Man konnte sich keine oder nur kurze Schwächeperioden leisten, denn das Berichtsheft musste vom den Eltern unterschreiben werden.
Extemporale oder Aufsichtsarbeiten wurden eingetragen. Anfangs sogar mit Reihenfolge, z.B. „von 50 Lehrlingen an 15. Stelle“. Für den Verdienst gab ebenfalls eine Spalte. Wöchentlich noch ein Sinnspruch, der als Richtschnur für die Woche galt. Ob sich so ein Flehrl dran hielt?
Was von Zeitzeugen immer wieder mal berichtet wurde: In den Wohnheimen gab es in den 4-, 6-, 8 Bett Zimmern immer wieder mal Probleme (Rangeleien) beim Erstellen der Zeichnungen, da nur ein kleiner Tisch auf den Zimmern stand und nicht alle Lehrlinge gleichzeitig zeichnen konnten.Auch macht das Gerücht die Runde, dass in den 50ern sich Touristen vor der Kaiserstallung (damals Jugendwohnheim) über Jugendliche wunderten, die an Fenstern standen und Zeichnungen kopierten. Die Technik des Pausens war offensichtlich noch nicht weit entwickelt
Über die Jahrzehnte hat sich am WB nur wenig geändert.
Sinnspruch
Erst denken, dann handeln, so oder ähnlich lauteten damals die Wochensprüche. Kein Wochenbericht ohne einen Spruch. War dies eine Idee unserer Ausbilder in der Lehrwerkstatt oder der Deutschen Bundespost. Nein, denn auch in Lehrwerkstätten anderer Firmen wurde dies ebenfalls praktiziert. Der Sinnspruch hing ab Montag immer in der Werkstatt aus. Die Lehrlinge sollten sich damit die ganze Woche auseinandersetzen. Man könnte auch sagen eine Art „Parole der Woche“.
Der Ursprung liegt in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Nationalsozialisten verbreiteten so ihre Ideologie. Welche Art von Sinnsprüchen dies war, kann sich ja jeder denken, es soll auch hier gar nicht näher darauf eingegangen werden. Soweit der kurze Abstecher in die Geschichte.
Auch in den Anfangsjahren der Bundesrepublik war der Sinnspruch nicht aus dem Wochenbericht wegzudenken. Waren es Anfangs noch Sprüche, fast könnte man auch sagen geflügelte Worte, wie: „Ohne Fleiß kein Preis“, „Überlege dir die Folgen deiner Handlungen“, „Aller Anfang ist schwer“ die Fernmeldelehrlinge in ihre Berichtshefte schrieben. Natürlich in Normschrift im 75 Grad Winkel. So hatten in den 60er Jahren die Sprüche mehr und mehr einen Bezug zur Arbeit bzw. dem Verhalten des Lehrlings. Hier ein paar Beispiele: „Werkstücke beim Bohren festhalten (Schleudergefahr)“, „Nach der Arbeit mit Blei, Hände waschen“, „Beim Verlassen des Arbeitsplatzes Lötkolben ausschalten“ Wie unschwer zu erkennen ist geht es nun hauptsächlich um Unfallverhütung. Im Zeichen der Liberalisierung auch in der Ausbildung, verloren aber die Wochensprüche in den 70er Jahren immer mehr an Bedeutung.
Dies alles war natürlich den Fernmeldelehrlingen der damaligen LW, vollkommen egal. Was auch immer für ein Spruch in der Werkstatt aushing wurde abgeschrieben.
Bei solchen Sprüchen: „Der Notausgang sei nicht verstellt, wenn einst die Feuerglocke gellt“, „Während der Arbeitszeit dürfen alkoholische Getränke weder verabfolgt noch genossen werden“ konnte sich der oder andere das schmunzeln nicht verkeifen. Kein Wunder auch bei so einem „geschwollenen“ deutsch, Behördensprache eben. Wichtig für uns war nur, wie teile ich die Buchstaben auf, damit der Spruch schön mittig steht. Man wollte ja die „1“ in Heftführung nicht gefährden. Ha, von wegen 1 in Heftführung. So pinkelig wie die Ausbilder damals waren, gab's die 1 sehr selten. Da wurden sogar die 75 Grad der Normschrift kontrolliert. Es war eigentlich unmöglich, die 1 zu erreichen, zumindest bei den meisten Ausbildern. Erst später als wir auch mit Schablonen schreiben durften, kam sie schon mal vor die "1". Das machte einen Fernmeldelehrling unheimlich stolz.
Ganz nach dem Motto: "Einmal im Leben kommt jedes Ding zur Geltung"
Die Zeichnungen
Die Rückseite durfte natürlich nicht leer bleiben. Wäre ja auch zu schön gewesen. So dachten sich die Ausbilder, jede Woche mehr oder weniger sinnvolle Zeichnungen, für die Rückseite aus.Im 1. Lehrjahr überwiegend aus dem Bereich Werkstoffbearbeitung. Wie auch die vordere Seite in Normschrift. Frisch von der Schule war dies bei manchen Flehrl, um nicht zu schreiben vielen, ein kleines oder auch größeres Problem. So mussten die ersten Rückseiten auf Zeichnungen verzichten und es wurde Normschrift geübt. Das allerseits geliebte U-Eisen wurde genauso verewigt, wie der Schlosserhammer. Es folgten Schwalbenschwanz, Senklot, Nieten usw. Kurzum alle Werkstücke die uns Flehrl einigen Schweiß kosteten.
Im 2. Lehrjahr kam dann die Linientechnik und der Sprechstellenbau zum Zuge. Über Masten, Spleißstellen, Muffen bis zu den diversen Kabelschächte war alles vertreten. Aber auch Dosenschaltungen mussten gezeichnet werden.
Das 3. Lehrjahr war schon ziemlich technisch. Nicht nur dass Stromlaufpläne der FeApps
gezeichnet werden mussten, nein auch Auszüge von Stromläufen der W 1/1.Währen der Bericht auf der Vorderseite relativ schnell geschrieben war, kosteten manche Zeichnung viel Zeit. Vorallem weil auch die Ausbilder akribisch die Zeichnungen kontrollierten. Es durfte kein Teil fehlen, es sollte eine 1:1 Kopie des Original sein.
Kopie war das Stichwort.
Einige findige Köpfe unter den Lehrlingen, erfanden dann die "Kopiermaschine". Welcher Jahrgang hier besonders kreativ von sich reden machte, entzieht sich der Kenntnis des Schreiberling. Entstanden ist der "Kopierer" in den Wohnheimen. Er bestand aus einer Nachttischlampe unter einer Glasplatte. Auf dieser konnte relativ schnell das Original, das unter dem leeren Blatt lag, nachgezeichnet werden. Man war richtig stolz auf die Ergebnisse. Da haben die Azubi heute ganz andere technische Möglichkeiten.
Viele Zeichnungen des 1. und 2. Lehrjahres haben die Jahrzehnte überdauert und wurden noch Ende der 60er von den Lehrlingen zu Papier gebracht.
Alle Zeichnungen findet ihr bei den entsprechenden Jahrgängen.
Die Benotung
Wenn nun der Montag gekommen und man freudenstrahlend den Wochenbericht abgab, nun ja es blieb den Flehrl auch nichts anderes übrig, war es leider damit nicht getan.
Die Ausbilder machten sich dann an das Benoten.
Einmal das Berichtsheft, die sogenannte Heftführung und auch für die vergangene Woche, wie Führung, Fleiß, Fertigkeiten und Kenntnisse. Bei den letzteren genannten ging es noch einigermaßen fair zu, was man bei der Heftführung nicht gerade sagen konnte. Die "1" in Heftführung war nahezu unmöglich zu erreichen. Irgendein Fehler fanden die Ausbilder immer, meistens auch mehrere, so dass es schon mal nur die "3" gab. Oft noch schlimmer. Es war nicht zu glauben, aber die Ausbilder hatten bestimmt auch so eine Art "Kopierer", denn die Fehler welche rot markiert wurden, waren oft auf Anhieb nicht als solche zu erkennen.
Auf dem Bild ist die Benotungsleiste im Wandel der Jahre bzw. Jahrzehnte zu erkennen. Anfangs der Ausbildung gab es den Punkt Kenntnisse noch nicht. Auf Führung und Fleiß wurde schon immer Wert gelegt. Die Unterschrift der Eltern wurde auch schon immer verlangt. Gab es doch auch in den fünfziger Jahren schon Schlitzohren, die von den "tollen" Noten im Berichtsheft, bestimmt zu Hause nichts erzählt hätten. Ganz so verkehrt war diese Vorgehensweise nicht, auch wenn es so ein Flehrl damals bestimmt anders sah, die Eltern mit einzubeziehen. So gab sich mancher doch Mühe. Schließlich wollten wir nicht nur einen Beruf erlernen, sondern auch für's Leben.