Abends in der Küche. Bin gerade dabei italienische Rouladen vorzubereiten. Füllen, zusammenrollen, binden, leichter gesagt als getan. Der Knoten im Küchengarn will einfach nicht halten.
Du hast doch so was schon mal gelernt, dachte ich mir. Netbook geholt, auf „fernmeldelehrling.de“ geklickt, Jahrgang 67, Wochenberichte 1. Lehrjahr. Da waren sie schon die Abbindknoten. Hunderte waren es wohl damals, die ich gebunden habe. Gleicher Abstand zwischen den Knoten, Ausbilder hat nachgemessen, waren selbstverständlich. Der Fadenverlauf musste immer gerade sein. Dann endlich war sie fertig die Kabelform. Wehe wenn man beim Durchprüfen dann feststellte, dass ein Draht vergessen wurde oder falsch eingebunden war. Da blieb nichts anderes übrig, als alle schönen Knoten aufschneiden und nochmals binden. Wenigstens gab’s bei dieser Tätigkeit keine Schwielen mehr, so wie beim Feilen. Es hatte schon mehr mit Fernmelderei zutun.
Meine Rouladen? Ach ja, die hätte ich beim Schwelgen in Erinnerungen fast vergessen. Das Binden nach der Vorlage klappte auf  Anhieb, gelernt ist eben gelernt. Sie sahen aus wie vom Profikoch und schmeckten diesmal besonders lecker. Für was so eine Ausbildung bei der DBP alles gut war.

An sich war der Fernmeldelehrling Ende der 60er ja in aller Regel sehr brav, sehr wohlerzogen und immer gesetzes- und obrigkeitstreu. Soweit nicht zwischendurch eine übermütige Abenteuerlust oder die pubertäre Neugier auf alles Verbotene dagegen sprach.
Auf diese Konten gingen gelegentliche Abstecher ins „Roten Ross“ in der Irrerstraße. Heute ist das ein nobles Hotel mit Restaurant. Aber 1970 war das Ross  d i e  Nürnberger Drogen- und Lasterhöhle überhaupt, und ein Besuch dort war immer eine kleine Mutprobe. Zum einen, weil man ständig die schwarzen Zweimeter-Amis (Ballermann immer sichtbar im Hosenbund) abschütteln musste, die einem ihre „frische Ware“ verkaufen wollten. Zum anderen aber auch, weil dort immer mit Polizeikontrollen zu rechnen war, und eine Meldung „… im Roten Ross aufgegriffen“ an die Post, ans Wohnheim oder an die Eltern, also das wollte ja keiner.
Zum richtig „haschen“ fehlte uns glücklicherweise das Geld, zwei drei Seidla zu Schüler-Sonderpreisen waren da viel ergiebiger. Die holte man sich an der Theke und stieg dann in den Wirtshaus-Keller, in den legendären „Club Serife“. Wenn Licht, dann ein paar Kerzen. Keine Stühle, nur Matratzen, Kissen, Decken. Und über allem schwebten sämtliche Düfte des Orients.
Auf den versifften Matratzen gab es manchmal spannenden Live-Aufklärungsunterricht vom allerfeinsten, besser als jeder Oswald-Kolle-Film. Damals war ja in Studenten- und Oberschulkreisen viel von „sexueller Revolution“ und „Freier Liebe“ die Rede, und in der Serife gab es oft Pärchen, die das ernst nahmen und nicht nur davon redeten.
Aber noch viel interessanter war die Musik. Denn da unten in der Serife probten und spielten sie alle, die damals in Nürnberg Blues, Jazz und Rock richtig ernst nahmen, und zwar rund um die Uhr. In dieser Lasterhöhle begann so manche Karriere, die bis heute anhält. Klaus, Yogo, Mitch, Günter, Dieter (+), Chris, Max (+), und vor allem die unvergessene, leider viel zu früh verstorbene Blues-Legende Martin P.. Der, so hieß es, wohnte sogar dort unten.


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