Als es jedoch hieß: Demnächst Abschluss-Ball, da waren alle Tänzer wieder da, und bei den letzten Tanzstunden war es wieder rappelvoll.
Bei der Vorbereitung  des Festballs legten die Kavaliere fleißig und mit ungeahnter Kreativität los. Selbstlos und uneigennützig natürlich. Der Saal wurde bunt geschmückt, von allen wurde die Idee akzeptiert, einen Teil mit Papiergirlanden undurchsichtig und undurchdringlich als Chambre sèparé abzuteilen. In die Bestellungen für die Getränke wurde die eine oder andere Flasche Whisky und Mädchenlikör eingeschmuggelt, Wein, Sekt und ausreichend Bier sowieso. Und dem Disc-Jockey wurde unter schwersten Androhungen auferlegt, nicht mehr als ein oder zwei Wiener Walzer zu spielen und ansonsten seine Plattensammlung nach Schmusesongs durchzusuchen.
Leider mussten die Planungen aber genehmigt werden. Also wurde die Alkoholbestellung radikal zusammengestrichen, gerademal Orangensaft mit Sekt wurde erlaubt, in einem genauestens kontrollierten Mischungsverhältnis. Die ganz vielversprechende Musikauswahl wurde streng zensiert, und schließlich schnitt Schwester Ambrosia höchstpersönlich die raumteilenden Girlanden auf eine nach ihrer Meinung sittlich zulässige Länge ab. Sie war sicherheitshalber mit weiteren drei Anstands-Wau-Waus anmarschiert. Angeblich soll es –in Kooperation mit der ebenfalls spielverderbenden Heimleitung- zu damals noch nicht üblichen Leibesvisitationen bei den Gästen gekommen sein, bei denen ein paar ungenehmigte Mitbringsel wie Schnapsfläschen und Schmuse-Schallplatten konfisziert wurden.
Mit langen Gesichtern erfüllten die Kavalliere dann doch ihre Tänzer-Pflichten. Mit dem ersehnten romantischen Abend und den dabei angestrebten zwischenmenschlichen Beziehungen war es zwar nichts, aber das Gesicht musste schließlich gewahrt werden.
Es ist nichts davon bekannt, dass es durch Tanzkurs und Abschluss-Ball zu nachhaltigen oder auch nur kürzeren bilateralen Kontakten mit den Mädels vom Marienheim gekommen ist. Alle Verführungskünste der Rädda Barnen-Casanovas waren umsonst.
Das war auch bei einem ähnlichen Abend so, zu dem eine Handvoll Mädchen aus einem Heim in der Glockenhofstraße eingeladen waren. Auch hier waren alle Annäherungsversuche erfolglos. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, und so begleitete ein Pulk von mindestens 15 Jungs die drei bis fünf Mädchen mitten in der Nacht nach Hause. Das endete dann in doppelter Hinsicht völlig unromantisch. Auf dem Rückweg bildeten sich nämlich kleine Grüppchen. Die einen analysierten schon mal den Abend und ihre Heldentaten bei den Mädchen, die anderen überlegten, ob nicht vielleicht doch noch irgendwo eine Wirtschaft offen hätte. Pech hatten die letzten, denn plötzlich öffnete sich über ihnen ein Fenster und lautes Geschimpfe kam herunter, gefolgt von einem Eimer Wasser. Da waren doch die ersten anscheinend versehentlich an einigen Türglocken hängengeblieben.

In den 50ern war in den Genen der Junglehrlinge vom Lande noch fest der korrekte Sonntags-Dresscode verankert. Wie man es seit Generationen vom Landvolk gewohnt war, zog der Landmann am Sonntag ein weißes Hemd an, trug seinen Konfirmandenanzug auf und hatte einen schwarzen Schlips um den Hals.
Da ein Nylon- oder Nyltesthemd noch nicht am Markt war, mussten damals Baumwollhemden getragen werden. Natürlich frisch gebügelt und gestärkt von Muttern.
Diese Hemden mussten bei 95 Grad (Kochwäsche) gewaschen werden und anschließend gebügelt bzw. gestärkt, denn sie zerknitterten leicht und in die Reinigung brachte am Land eh keiner etwas.
Damit begannen die Probleme der traditionsbewussten und -gewohnten aber verarmten Auswärtigen. Man kam nur alle 12 Wochen bei der bezahlten Familienheimfahrt nach Hause, somit war das einzige weiße Hemd das man besaß, nach einigem Tragen verschmutzt und eines Sonntagshemdes nicht mehr würdig.
Doch der kluge Mann bzw. Fernmeldelehrling wusste sich zu helfen - die Tochter einer Wäschereibesitzerin wurde heftigst umgarnt und bussiert. Nachdem die zwischenmenschlichen Beziehungen sich gefestigt hatten wurde die Zugneigung auf die Mutter erweitert und das mit großem Erfolg. Das Muttergefühl der Fastmutter zu ihren Fastsöhnen veranlasste selbige die dreckigen Hemden der verwahrlosten Jungs zum Selbstkostenpreis von 50 Pfennigen zu reinigen (man war ja schließlich Geschäftsfrau).
So hatten die Jungs vom Wohnheim am Sonntag immer ein strahlendweißes Hemd und eine saubere, von Essensresten befreite Krawatte.

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